Ich liebe Catchphrases. Ja, manchmal sind sie dumm oder klischeebehaftet, aber ich freue mich trotzdem immer, wenn Barney Stinson „it’s gonna be legen — wait for it — dary“ sagt oder Ygritte in Game of Thrones warnt: „You know nothing, Jon Snow“. Vor allem mag ich solche Standardsätze, weil sie viel über die Figuren verraten, die sie sagen.
Wer schreibt, hat sich wohl damit arrangiert, dass jedes seiner/ihrer Worte auf die Goldwaage gelegt wird. Trotzdem achten zwar erstaunlich viele Autorinnen und Autoren auf ihre eigene Sprache, vernachlässigen jedoch die Sprache ihrer Charaktere. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass es einer der häufigsten Fehler unter angehenden Schreiberlingen ist, alle Figuren gleich klingen zu lassen. Gott weiß, dass ich zu Beginn diesen Fehler gemacht habe, obwohl ich wusste, wie man es theoretisch richtig macht.
Sprache ist eins unserer wichtigsten Mittel der Charakterisierung. Sehen wir uns daher einmal genauer an, was sie über Figuren verrät und welche verschiedenen Funktionen sie in einer Geschichte erfüllt.
- Mit wem sprechen die Figuren?
- Fiktionale Sprache ist anders als Sprache im realen Leben
- Figureneigenschaften und Sprache
- Funktion von Sprache in der Geschichte
- Informationsvergabe und Plotentwicklung durch Dialoge
- Sprach-Ideologie
- Mehrsprachigkeit
- Warum sind individuelle Sprachstile so wichtig?
Mit wem sprechen die Figuren?
Vorab jedoch eine Frage: Mit wem sprechen unsere Figuren eigentlich, wenn sie innerhalb der Geschichte reden?
Die häufigsten Formen der Figurenrede sind Monologe und Dialoge. In beiden Fällen sprechen die Figuren sowohl miteinander (bzw. mit sich selbst) UND mit den Lesern oder Zuschauern.
Daher hat Dialog (der Einfachheit halber fasse ich im Folgenden jede Figurenrede unter Dialog zusammen) stets mehrere Funktionen. Er verrät uns:
1. Etwas über die Eigenschaften der Figur, die spricht
2. Etwas über ihr Verhältnis zu anderen Figuren
3. Etwas über den Plot.
Fiktionale Sprache ist anders als Sprache im realen Leben
Sprache ist in Fiktion stets bewusst konstruiert. Eben aus diesem Grund kann sie auch mehrere Funktionen erfüllen, die über das hinausgehen, was Sprache im echten Leben leistet. Wenn wir uns mit unserem Nachbarn im Flur über das Wetter unterhalten, kann ein geübter Linguist daraus zwar auch so einiges über unser Verhältnis zueinander und die Konversation an sich ableiten, doch wird der Austausch auch aus ziemlich viel Füllermaterial und Show-Stoppern wie „ähm“ und „uhm“ und „oh“ bestehen. Nicht alles, was wir im Alltag von uns geben, hat tiefere Bedeutung. Zumindest ist uns diese in der Regel nicht klar.
In fiktionalen Geschichten ist das ganz anderes. Jedes Wort erfüllt hier im Idealfall einen ganz konkreten Zweck. Füllmaterial wie „äh“ oder Unterhaltungen wie:
„Schönes Wetter heute.“
„Ja, total warm draußen.“
„Echt nett.“
„Ja.“
„Mhm.“
„Und wie.“
„Okay.“
„Bis dann.“
sollten wir vielleicht lieber meiden.
Daher ist es wichtig sich klar zu machen, dass fiktionale Sprache nicht dasselbe ist wie reale Sprache.
Figureneigenschaften und Sprache
Eine der interessantesten Funktionen von Dialogen ist die Charakterisierung. Jedes Wort, das unsere Figuren von sich geben, sagt etwas über sie aus. Sogar wie viel sie sagen, sagt etwas über sie aus. Ist unsere Figur einsilbig, ist sie möglicherweise schüchtern, deprimiert oder ein Einzelgänger. Redet unsere Figur ohne Punkt und Komma, ist sie vielleicht besonders extrovertiert, aufgeregt oder hat zu oft am Kleber geschnüffelt.
Dialoge verraten etwas über Intelligenz, Persönlichkeit, Motivation, sozialen Status oder das Verhältnis zu anderen Charakteren. Besonders wichtig sind auch Änderungen im Sprachstil, die sowohl auf eine Entwicklung im Charakter als auch im Plot hindeuten können.
Durch die Kombination aus Sprechweise, Handlungen und Interaktion mit anderen Figuren, offenbaren unsere Charaktere ihre Identität.
Um noch einmal auf eins unserer Beispiele vom Anfang zurückzukommen:
Beispiel Barney Stinson: „It’s gonna be legen — wait for it — dary.“
Barneys Satz sagt uns, dass er aus der Moderne stammt (legendary ist sowas von 2010). Er zeugt von einem (vielleicht etwas übersteigertem) Selbstvertrauen (denn es könnte nicht legendär werden, sondern es wird legendär) und Optimismus. Er zeugt von einer Person, die sich nicht an (Satzbau)-Konventionen hält und die gern die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Ansonsten müsste er sein Publikum nicht dazu zwingen, auf das Satzende zu warten.
Fasst Barneys Charakter ganz gut zusammen, oder? Dazu brauchten die Serienmacher nur einen einzigen Satz.
Funktion von Sprache in der Geschichte
Neben der Charakterisierung unserer Figuren erfüllen Dialoge noch weitere Funktionen in einer Geschichte. Sie sagen uns, in welcher Epoche unsere Story angesiedelt ist und ob wir uns in der Realität oder in einer Fantasy– oder Science-Fiction–Welt bewegen. Benutzen die Charaktere Worte, die es gar nicht gibt (Science-Fiction oder Fantasy)? Benutzen sie extrem veraltete Begriffe (bspw. historischer Roman)?
Dialoge vermitteln Informationen über die Story, sie dienen ästhetischen Zwecken, sie verfolgen kommerzielle Interessen und sie offenbaren Weltanschauung – sowohl der Figuren selber als auch ihrer Autorinnen und Autoren.
Sehen wir uns die beiden Punkte „Informationen über die Story vermitteln“ und „Weltanschauung“ daher genauer an.
Informationsvergabe und Plotentwicklung durch Dialoge
Den meisten wird klar sein, dass jede Szene in einer Geschichte den Plot voranbringen sollte. Dasselbe gilt auch für Dialog. In Dialogen liefern Figuren Exposition (bitte aber nicht als Info-Dump!), verraten relevante Geheimnisse, geben Hinweise auf die Lösung eines Puzzles und offenbaren Hintergrundgeschichten. In den meisten Fällen ist es eleganter, wichtige Informationen über die Geschichte per Dialog oder Handlungen zu vermitteln, anstatt sie den Lesern einfach vor die Füße zu werfen.
Sprach-Ideologie
Sprache vermittelt Weltanschauungen. Dagegen können wir nichts unternehmen. Nicht nur was wir sagen, auch wie wir etwas sagen, verrät etwas über unsere persönliche Ideologie. Dasselbe gilt für unsere Figuren. Sind sie konservativ? Progressiv? Rebellisch? Versnobt? Je nachdem, ob wir in einer bestimmten sozialen Situation Umgangssprache, einen Dialekt oder förmliche Sprache verwenden, sagt das etwas über unsere Ansicht über die Situation, den Dialekt und die Umgangssprache aus. Es verrät außerdem, was wir meinen, wie unser Umfeld Dialekte oder Standardsprache wahrnehmen würde.
Dadurch, wie unsere Geschichte Personen mit einer bestimmten Sprechweise behandelt, vermitteln wir auch unsere eigenen Ansichten darüber, wie wir Personen mit dieser Art zu sprechen sehen. Stammt die Figur, die sich in Hip-Hop-Slang unterhält, aus einem armen Umfeld, verknüpfen wir diese Art zu sprechen mit Armut. Bekommt der Charakter mit dem bayrischen Akzent keinen Job beim Fernsehen, sagen wir damit auch, dass wir glauben, dass ein solcher Akzent ein Hindernis und eine Abweichung ist.
Selbstverständlich lassen sich auf diese Art wichtige Aussagen treffen. Man sollte sich nur stets bewusst sein, welche Aussagen man damit trifft.
Schaut euch einfach mal My Fair Lady an oder lest Pygmalion, dann wisst ihr genau, was ich meine :-).
Mehrsprachigkeit
Habt ihr eine Figur in eurer Geschichte, die mehrere Sprachen spricht, ist dies Teil der Charakterisierung dieser Figur. Mehrsprachigkeit wird auch Einfluss auf den Plot haben und kann etwa explizit thematisiert werden oder bspw. zu Verständigungsproblemen führen. Vielleicht nutzt eure Figur auch diese Fähigkeit zu ihrem Vorteil und überlistet andere Figuren durch ihre Mehrsprachigkeit.
Mehr noch als bei allen anderen Sprechweisen, offenbart Mehrsprachigkeit jedoch auch gewisse Sprachideologien.
Sprachideologien sind soziale Konstruktionen und reflektieren historische Rollen, ökonomische Werte, politische Macht und soziale Funktionen einer bestimmten Sprache. Sie drücken den Glauben an die Außenwahrnehmung der Verwendung dieser Sprache aus sowie die damit verbundene soziale Nützlichkeit, Macht und den Wert der Sprache in einer bestimmten Gesellschaft.
Wenn ihr konkret wissen möchtet, wie sehr Mehrsprachigkeit bei fiktionalen Figuren mit Beigeschmack versehen sein kann, möchte ich euch nach Hollywood verweisen. Seht euch einmal an, welche soziale Stellung spanischsprachige Figuren in den meisten Hollywoodfilmen einnehmen. Dort ist die vermittelte Ideologie in Bezug auf Figuren mit diesem kulturellen Hintergrund recht eindeutig.
Warum sind individuelle Sprachstile so wichtig?
Warum ist es also so wichtig, euren Figuren jeweils einen ganz individuellen Sprachstil zu verpassen?
1. Sie sind dadurch sofort wiedererkennbar. Wenn auf einer Seite ein Satz erscheint und ein Leser sofort sagen kann, wer diesen Satz von sich gegeben hat, dann habt ihr alles richtig gemacht.
2. Die Sprache eurer Figuren muss zum Charakter und zum sozialen Hintergrund passen. Eine selbstbewusste Managerin aus der Oberschicht wird sich vermutlich anders ausdrücken als ein schüchterner Schüler aus einer mittellosen Familie.
3. Sprache treibt den Plot voran. Was Figuren wie sagen, hat auch Einfluss darauf, wie andere sich ihnen gegenüber verhalten, ob sie ihnen zuhören, tun, was die Figur will oder sie ignorieren.
Und außerdem: Es macht auch viel mehr Spaß, durch die Figuren ein wenig mit Sprache spielen zu können :-).